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Brexit – Fluch oder Segen für die Briten

Eine politische Analyse von Alisha B.

Am 29. März 2017 stellte Großbritannien offiziell den Antrag auf Austritt aus der EU, am 31. Januar 2020 wurde das Austrittsabkommen wirksam. Seit über drei Jahren ist Großbritannien nun ein Drittstatt und kein Mitglied der EU. Die Übergangsphase des Austritts endete ein Jahr später, am 01. Februar 2021. Seitdem ist Großbritannien nicht mehr Mitglied es EU-Binnen-Marktes und nicht mehr Mitglied der Zollunion. Seit diesem letzten trennenden Schritt sind nun fast 800 Tage vergangen. Zeit für ein erstes Fazit: War der Ausstieg der Briten aus der EU der erhoffte Segen oder doch eher ein Fluch?

Die Hoffnungen der Brexit-Befürworter waren groß! Erwartet – und ihren Mitbürgern versprochen – hatten die Brexiteers eine stärkere Autonomie Großbritanniens, weniger Zuwanderung sowie weniger Bürokratie. Das Gesundheitssystem sollte besser werden, die Bürger sollten weniger Steuern zahlen müssen und es sollte bessere bilaterale Handelsabkommen geben.

Aktuell sind die neuen Handelsverträge, z.B. mit Australien, im Vergleich zu den vorherigen mit der EU jedoch winzig. Tatsächlich wurden bis jetzt weniger als 2/3 des Außenhandelsvolumen durch die Nach-Brexit-Handelsverträge abgedeckt. Die Briten hatten sich zudem auch ein Handelsabkommen mit den USA gewünscht, zu welchem es zum jetzigen Zeitpunkt noch immer nicht gekommen ist.

Spoiler-Alarm: An dieser Stelle kann ich bereits verraten, dass diese Ziele nicht erreicht wurden. Ganz im Gegenteil, der Austritt hat dem Vereinigten Königreich zugesetzt.

Dass der Brexit doch eher ein Fluch war, macht bereits die aktuelle politischen Lage gut erkennbar. Auch wenn es dem Namen nach das Vereinigte Königreich ist, aktuell ist das Land zutiefst gespalten und wird seinem Namen nicht gerecht. Es ist eine der turbulentesten politischen Perioden der jüngeren britischen Geschichten. Es gab bereits zwei vorgezogene Neuwahlen und vier Premierminister-Rücktritte: David Cameron, Theresa May, Boris Johnson und Liz Truss warfen das Handtuch. Hinzu kommen zahlreiche historische Niederlagen der Regierung im Parlament. Jedoch stellt noch immer keine der großen Parteien den EU-Austritt in Frage oder befürwortet gar öffentlich eine Rückkehr in die EU. Laut verschiedener Umfragen ist aber genau dies der Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung. 56 % der Briten halten den Brexit für einen Fehler. Ein Fünftel der Brexiteers, die damals für den Austritt gestimmt hatten, haben ihre Meinung geändert und halten ihr Votum von damals für falsch. Nur noch knapp 40 % der Bürger halten den Brexit weiterhin für richtig. Wir erinnern uns: Am 23. Juni 2016 hatten rund 52 % der Briten FÜR den Brexit gestimmt.

Wirtschaftlich ist die Situation auch nicht so rosig, denn seine Versprechen für die Prosperität der Wirtschaft konnte der Brexit nicht halten. Das Bruttosozialprodukt steigt deutlich langsamer – um 4 bis 6 % weniger. Das sind 100 Milliarden, die nicht erwirtschaftet werden! Dazu kommt noch, dass die Ein- und Ausfuhren um ganze 10 bis 15 % zurückgegangen sind. Das Resultat ist, dass Großbritannien noch immer nicht das Vor-Pandemie-Niveau erreicht hat. Pro Privat-Haushalt stiegen allein die Lebensmittelausgaben um rund 250 Euro mehr im Monat!

Um die Auswirkungen genauer zu untersuchen, hat die britische Handelskammer eine Umfrage unter 1168 Unternehmen durchgeführt. Hierbei gaben 77 % an, dass der Brexit keinen positiven Effekt hätte und mehr als 50 % behaupten sogar, sie hätten Schwierigkeiten mit den neuen Regeln im Handel. 80 % der befragten Unternehmen erklärten, dass der EU-Austritt schlimmer sei als die Pandemiefolgen oder die Folgen des Ukraine-Krieges. 83 % befürchteten sogar, dass die gravierendsten Folgen noch nicht eingetreten seien, sondern erst noch kommen würden.

Natürlich ist der Brexit allein nicht für die momentane Wirtschaftskrise in GB verantwortlich, aber er ist wie ein schwerer Anker, der die Ökonomie nach unten zieht. In der Summe ist er schlimmer als die Auswirkungen der Pandemie und sogar schlimmer als die Auswirkungen des russischen Angriffs-Krieges auf die Ukraine.

Die britische Währung, das Pfund, hat ebenfalls deutlich unter dem Austritt gelitten. Seitdem EU-Referendum im Juni 2016 ist der Wert um ca. 10 % gefallen – schon vor der durch den russischen Angriff auf die Ukraine ausgelösten Inflation. Importe sind damit teurer geworden und die Inflation wurde befeuert, so dass sie so hoch ist, wie seit 40 Jahren nicht mehr. Wirtschaftlich zeichnet sich gerade für das Vereinigte Königreich momentan also definitiv kein schönes Bild.

An vielen Stellen zeigt sich, dass die Lage in Großbritannien schwierig ist – es gibt viele Verlierer. In der Verwaltung, Logistik, bei Zöllen, der Finanzierung und IT-Anpassungen fallen jetzt weitaus höhere Kosten an. Dem Gesundheitswesen, dem Transportgewerbe, der Gastronomie und der Landwirtschaft fehlen durch die verschärften Einwanderungsregeln nun zahlreiche Arbeitskräfte aus Süd- & Osteuropa. Allein wegen der höheren Lebensmittelkosten, sind die Haushalte ärmer geworden. Des Weiteren stagnieren auch Investitionen. Die nun vorhandenen Handelsbarrieren haben den Warenverkehr um ca. 10 bis 15 % sinken lassen. Mit ihm sinkt die Bedeutung des Vereinigten Königreichs als Handelspartner für Deutschland deutlich. Vor dem Austritt war das Land noch auf Platz 5 der wichtigsten Handelspartner Deutschlands – heute ist es nicht einmal mehr unter den Top 10 zu finden. Unternehmen müssen sich nun mit mehr Formalitäten herumschlagen. Britische Exporteure in die EU müssen aufwendig nachweisen, dass die Produkte wirklich überwiegend im eigenen Land hergestellt wurden.

Schwierig ist auch nach wie vor die Lage in Nordirland bzw. der Umgang mit Nordirland. Durch den Brexit von Großbritannien wurde Nordirland eine besondere Regelung eingeführt. Hintergrund sind die jahrzehntelangen bürgerkriegsähnlichen Zustände zwischen der Republik Irland und dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland. Um den seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 geltenden Waffenstillstand nicht zu gefährden, war es vor allem der EU wichtig, den Status-Quo von vor dem Brexit beizubehalten.

Dieser sollte eine harte Grenze zwischen der Republik Irland (EU-Mitglied) und Nordirland vermeiden. Hierfür wurde das Nordirland-Protokoll ins Leben gerufen. Dieses besagt, dass dieser Teil Großbritanniens (Nordirland) wirtschaftlich ein Teil der EU bleibt, damit es keine harte Grenze zwischen den beiden Teilen der Insel gibt. Dies führt jedoch zu Handelsbarrieren zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs. Für dieses Problem wurde nun eine Lösung gefunden – das Windsor-Abkommen. Das Abkommen teilt den Warenverkehr von und nach Nordirland in zwei Kategorien. Die Kategorie „Rot“ regelt die Waren, die den EU-Binnenmarkt betreffen. Diese unterlaufen immer noch strengen Kontrollen und es fallen weiterhin Zölle an. In die Kategorie „Grün“ fallen alle Waren, die für den Handel innerhalb Großbritanniens gedacht sind – bei diesen fallen nun keine strengen Kontrollen oder Zölle mehr an. Das Windsor-Abkommen löst jedoch nicht alle Probleme. Die pro-britische Partei ist ob der Sonderbehandlung gegenüber dem Rest des Königreichs erzürnt und befürchtet, dadurch politisch von Großbritannien abgekoppelt zu werden. Aus diesem Grund gibt es seit bald einem Jahr Probleme bei der Regierungsbildung. Nun wurde die Frist zur Regierungsbildung erneut um fast ein Jahr großzügig verschoben – bis zum 18.01.2024.

Ein andersgeartetes Problem mit dem Brexit hat auch Schottland. Die Schotten hatten bei dem Brexit-Votum in allen Wahlkreisen für einen Verbleib in der EU gestimmt. Sie fühlen sich daher von Großbritannien „verraten“ und zu einem ungewollten Brexit „gezwungen“. Die noch aktuelle Regierungschefin Nicola Sturgeon hatte bis Ende 2023 ein Unabhängigkeitsreferendum angekündigt, welches sie auch, notfalls ohne die Zustimmung der Zentralregierung in London durchführen wollte. Hierzu wurden auch Dokumente veröffentlicht, welche dafür werben, dass Schottland außerhalb des Königreichs erfolgreicher wäre. Nun ist Nicola Sturgeon zurückgetreten und hat damit die politische Bühne frei gemacht, damit jemand anderes ihre Pläne in die Realität umsetzen kann. Der Wunsch, Schottland unabhängig aus den Vereinigten Königreich herauszuführen, flammt durch den Brexit noch deutlicher auf: Der Brexit ist Wasser auf den Mühlen der Scexit-Anhänger.

Als ob all diese Punkte nicht schon genug wären, ist die aktuelle Situation wahrscheinlich noch nicht der Tiefpunkt des Brexits und das Ende vom Lied. Dem Königreich steht wegen der Nachwirkungen der Corona-Pandemie, der ausufernden Inflation, der Energiekrise und des Ukraine-Kriegs eine Rezession bevor. Zudem hat die Bank of England eine Prognose veröffentlicht, dass das BIP 2 Jahre lang von Mitte 2022 bis Mitte 2024 stetig schrumpfen wird. Zu allem Überfluss werden die Finanzierungskosten der Regierung weiterhin steigen. Um all dies zu stemmen, plant die britische Regierung im April 23 die Körperschaftssteuer von 19 % auf 25 % anzuheben. Für das Königreich ist eindeutig in näherer Zukunft keine Trendwende in Sicht.

Durch all diese aufgeführten Gründe muss man zu dem Ergebnis kommen, dass der Brexit für Großbritannien kaum ein Segen, aber vor allem ein Fluch war, der dem Land nicht nur kurzfristig schadet, sondern wahrscheinlich auch noch langfristig schaden wird.

Text: Alisha B., Illustration erstellt von künstlicher Intelligenz mi Dall-e2.
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