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Exil und Heimat: Die Stimme eines Exilliteraten zur NS-Zeit

Öffentlicher Brief eines Exil-Literaten:

An die Bewohner meiner Heimat, auch wenn ich sie kaum noch Heimat zu nennen vermag,

es scheint, als würden mich die Umstände in die Knie zwingen. Bis ins Mark trifft mich der Unmut aus den eigenen Reihen. Beanstandungen von anderen Dichtern! ------ Obwohl uns unsere Liebe zu Wort und Schrift doch so sehr verbinden sollte! … Beschossen werde ich von meinen eigenen Kollegen aus Deutschland. Kollegen, die nicht selten in ihrer Literatur dem Regime Honig ums Maul schmierten, um den Gräueltaten zu entgehen. Nie hätte ich ein positives Wort den Nationalsozialisten gegenüber über die Lippen, geschweige denn aufs Papier gebracht. Nie! Diese Menschen haben geliebte Dichterkollegen in den Freitod getrieben! Wie Piraten, die ihre Geiseln über die Planke treiben. Zum Tode geweiht. Ein Ausweg unvermeidbar, wenn man die Gefahren bedenkt, die einem drohen, ehe man zur Feder greift, um seine ehrlichsten Gedanken zu Papier zu bringen. Verfolgung, Konzentrationslager, Ermordung, Folter. -------- Nun sagen Sie mir: Wer will diesem Unheil nicht entfliehen? -------------- Auf Umwegen erfuhren ich und andere Dichter hier - außerhalb dieses (von einem Regime beherrschten) Landes - wie unsere Dichterkollegen in der Heimat von uns reden. Ja, geradezu verteufeln tun sie uns. Im Stich gelassen hätten wir sie... Vermögen sie wirklich zu denken: “Die Grausamkeiten in Deutschland lassen mich in Ruh‘?” Vermögen sie wirklich zu denken: “Ich hätte freiwillig dieses von Nationalsozialisten überrannte Land verlassen, das ich einst meine Heimat nannte?” Vermögen sie wirklich zu denken: “Ich lasse meinen Herkunftsort im Stich, ohne wirklich eine andere Wahl zu haben?” ----------------- Diese Wahl hatte ich nie! Tagein tagaus war ich von Sorgen und Ängsten geplagt. Tagein tagaus saß mir der Verrat im Nacken. Den Appetit hatte ich schon lange verloren, von der Todesfurcht war ich gezeichnet. Jede Nacht war ich des Schlafes beraubt. Jede Nacht kämpfte ich mit Albträumen, die mich heimsuchten. ------------ Kann ich, kann jemand unter diesen Umständen mit meinen Werken etwas bewirken? Das war mir in keinster Weise möglich. ------------ Das Exil hingegen trat mir als Ort der Sicherheit entgegen, ein Ort ganz befreit von Leid. Meine künstlerische Ader war hier im Nu wieder entfacht. Hier fand ich zurück zu mir. Ich wusste wieder, wer ich bin und wofür ich einstehe. Genau diese Erkenntnisse konnte ich nutzen, um meiner Heimat einen Dienst zu erweisen. Einen Dienst, zu dem ich in meinem Geburtsland nicht mehr fähig war. ------------ Täglich arbeite ich hier bis heute an meinen Werken, meist bis zur Erschöpfung der Augenkraft, um mit meiner Kunst etwas zu erreichen. Alles in meiner Macht Stehende tue ich dafür, die Menschen zu erinnern, wie schön es einst war, bevor uns der Mund verboten wurde. Damals, als wir noch nicht wussten, welch‘ große Sorgen uns noch bevorstehen. Darum male ich immer wieder, mit jedem Wort, Bilder unserer alten Heimat. ------------ Denn bei einem bin ich mir ganz sicher. Mit meinen Worten kann ich Herzen berühren. Und zwar solche Herzen, die in sich noch unsere alte Heimat tragen. So wie sie früher einmal war, bevor sie von Nationalsozialisten eingenommen, geraubt, ausgequetscht und überrannt wurde. Von jenen Nationalsozialisten, die es sogar schafften unsere einst so wertvolle, wohlgesinnte Dichtergemeinschaft zu spalten. ------------ Überdenkt meine Worte und verzeiht Ihr Dichter aus dem Exil
Text von Annika. Illustration von Jessica.
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