Skip to content

Monolog eines an der Pest Erkrankten auf der Suche nach Hilfe in Waldsassen

Oh diese Kälte, diese bitterliche Kälte.

Leer, ja, so fühle ich mich. Mein Magen … Meine Hände … Ich würde sagen blau, aber nein, schon schwarz … Meine Füße … Lange werden sie mich nicht mehr tragen.

Komm, ein paar Meter noch, du musst… aber was wenn nicht?

All der Schnee um mich, die ellenlangen Bäume, die bis in den Horizont reichten, dass ich meinen Kopf in den Nacken legen müsste, um an ihnen empor zu blicken, das dichte Gestrüpp aus Ästen und Ästen und Ästen, niemand würde mich finden. Was wenn nicht? Oh Herr, sag mir, was wenn nicht? Bitte, oh Herr … meine letzte Hoffnung.

Alles dreht sich. Lange werde ich es nicht mehr schaffen.

Da, siehe da, die Lichter sind in Sicht! Ja! Ein berauschendes Gefühl. Fast, als würde der Schmerz getäubt werden. Aber nur fast. Dieser Schmerz… Er ist schrecklich, ja, unübertönbar. Er zerrt an meinen letzten Kräften. Diese paar Meter, komm …

Dieser Schnee, gar so weich und bezaubernd in seiner Schönheit, doch er zieht an meinen Füßen, saugt sie förmlich ein, zerrt an meinen allerletzten Kräften, fast als würde er mich für sich vereinnahmen wollen. Du musst es schaffen, komm.

Stimmen. Trubel. Ein weinendes Kind. Ein Duft von Feierlichkeiten und Genuss steigt mir sanft in die Nase. Treibt mich an. Immer weiter- da…

Ich habe es geschafft – endlich – so weit bin ich gekommen und doch kaum zugleich. Stolz erfüllt mich. Ich habe es geschafft. Fast, jetzt muss ich nur noch… – vielleicht die Frau mit den goldenen Locken? Oder der Mann mit dem schreienden Kind im Arm? Jemand muss mir helfen. Erschrockene Blicke. Ist jemand hinter mir? Was ist los? Es ist, als würde ich in einen Spiegel meiner selbst erblicken. Als würde – Oh Herr! – Nein. Ich bin es. Ich bin es. Ich bin es. Ich bin es. Oh Herr –

Sie starren, fast als würden hinter ihren Augen die Rädchen drehen, ich sehe fast den Dampf aus ihren Ohren kochen, so schnell müssen sich die Rädchen drehen. Ich bin es, die sie anschauen. Ich hätte es besser wissen müssen. Ich naives und so bedauerliches Wesen. Wieso, ja, wieso schauen sie? Können sie mir nicht helfen? Meine Hände, sie werden taub. Das ist nicht gut. Das hat mir Mutter noch gelehrt, bevor sie… Egal. Jetzt bin ich auf mich alleine gestellt. Ich muss das alleine schaffen.

Am Ende des Trubels spielen Kinder beseelt. Ihr Lachen. Befreit von jedem Leid. Wenn doch nur ich … Tausende Augen durchlöchern mich wie Kugeln, die ich bräuchte, um nicht mehr leiden zu müssen. Ja, dieser Schmerz. Können sie mir helfen? Mein Antlitz, mein Hab und Gut, verseucht, verschmutzt… ich will nicht darüber nachdenken, welch abstoßenden Anblick ich bieten muss. Ein warmer Laib Brot, das Wasser in meinem Mund läuft kalt zusammen. Ein einziges Stück Brot, das ist es … Tausende von Menschen, doch die Menschlichkeit fehlt.

Also gut, die Frau mit den goldenen Locken. Sie wird es sein, ja, sie wird es sein, das weiß ich jetzt.

Ein Text von Marie, Illustration von Elena-

Bilder von Waldsassen (Johannes), Bild von Marie (V. Bauer)
An den Anfang scrollen