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Das Frauenhaus – eine Institution, die leider dringend gebraucht wird

Ziel: Gelerntes verlernen

Heute sitze ich – Jessica –  vor dem fahlgrauen Tisch gegenüber eines großen Whiteboards in der FOSBOS Weiden, um möglichst viel zu lernen. Noch vor einem Jahr unterstützte ich Menschen auf ihrem Weg aus der Arbeitslosigkeit und berechnete finanzielle Leistungen. Denn ich wurde von der Bundesagentur für Arbeit ausgebildet. Dann fand ich privat einen Ort, an dem Frauen anderen Frauen halfen, das Erlernte zu verlernen: als Ehrenamtliche im Frauenhaus.

Verlernt werden:

  • niemandes Besitz sein
  • fehlender Selbstrespekt
  • usw.

Aber beginnen wir erstmal langsam Schritt-für-Schritt von vorne:

Ich habe vor einiger Zeit bei einer Neuaufnahme im Frauenhaus hospitiert. Die erste Begegnung erfolgte am Bahnhof – Blickkontakt – und ein freundliches Lächeln meines Gegenübers. Zunächst bewegten wir uns von der Straße weg, um den fahrenden Autos nicht im Weg zu stehen und machten uns dann auf dem Weg zum Frauenhaus. Um eine sichere und vertraute Atmosphäre zu gestalten, gehen wir immer sehr ruhig und vorsichtig mit den Frauen um. Im Frauenhaus erfolgt zunächst das Abstellen des Koffers, das Anbieten von Getränken und Snacks vor dem Rückzug in einen freundlich eingerichteten Aufenthaltsraum. Weil wir zu zweit waren, beschäftigten wir uns mit den Kindern und zeigten ihnen die bunte Auswahl an Spielsachen, um die Mütter zu entlasten. Beim Aufnahmegespräch werden in einem Bogen die wichtigsten Daten der Frau – beispielsweise Krankenversicherung und Geburtsdatum – festgehalten. Das Reden mit der Frau schafft Sicherheit. Es herrscht kein Druck bei der Informationsaufnahme. Beim Ankommen erfragen wir nicht, weshalb sie denn in ein Frauenhaus geflohen ist. Wir wollen ein sicherer Hafen sein. Die Hauptamtlichen, also die fest im Frauenhaus in einem Arbeitsverhältnis stehen, sind Sozialpädagoginnen und führen diese Art von Gesprächen. Der Bogen erfasst nur Personaldaten, welche die Hauptamtlichen für spätere Zwecke nutzen (Bsp.: Antragstellung im Jobcenter). Was die Frauen für sich behalten wollen, wollen wir nicht brutal ans Licht zerren. Wir lassen Zeit. Am nächsten Morgen erfolgt dann das Aufnahmegespräch zwischen Sozialpädagogin und Schutzsuchender.

Illustration: Alexandra.
Regeln schaffen Sicherheit

Der Standort des Frauenhauses ist geheim. Nur die Mitarbeiterinnen und die Bewohnerinnen kennen ihn. Besuch darf keiner erfolgen, da sich andere Frauen vor fremden Menschen gestört oder bedroht fühlen könnten. Das Frauenhaus ist ein Schutzhaus – für alle. Wenn sich eine Bewohnerin gerne mit ihrer Mutter beispielsweise treffen wollen würde, vereinbaren sie einen anderen Treffpunkt.

Ein Raum zum Lachen und Durchschnaufen – voller Verständnis und Solidarität

Wenn ich das Frauenhaus betrete, höre ich als erstes lautes Kinderlachen. Die Kinder toben im Spielzimmer umher und kreischen fröhlich. Sie lieben es, miteinander das bunte Spielzeug zu erforschen. Wenn man weiter durch das Haus und den Keller hinunter geht, so erkennt man einen Drachen – einen Papierdrachen – welcher die Wand hinunter schmückt. Die Kinder verzierten je ein Körperteil von ihm. Dieser Drache symbolisiert eine Geschichte – eine Geschichte über Kraft, Mut und Verbundenheit. Und ich finde es immer wieder schön, beim Gang durch den Keller den Spuren der ehemaligen Kinder zu folgen. Im Frauenhaus wohnen Frauen verschiedenster Herkünfte, Geschichten und Religionen – sie alle wohnen unter einem Dach und lernen sich erstmals kennen. Doch Vorurteile gegenüber den anderen spürt man keine. Im Gegenteil, Verbundenheit ist sehr präsent. Auch wenn eine sprachliche Barriere eine reibungslose Kommunikation erschwert, versteht man die jeweils andere. Mimik, Gestik und Körpersprache helfen mit. Und all die Unterschiede treten gegenüber einer Sache in den Hintergrund: Die Chance, neu ins Leben zu gelangen und unabhängig eines aufzubauen. Frei von Gewalt und frei von den Erwartungen anderer. Ein Leben, wie sie es selbst wollen. Man muss nicht immer einer Meinung sein – wer ist das schon im wahren Leben – aber man sollte verständnisvoll, tolerant und solidarisch sein.

Foto: Jessica Hinz
Begleitung - "nicht-allein" ist alles leichter

Ein neues Leben aufzubauen, ist alles andere als einfach. Und ganz ohne Hilfe und Unterstützung ist es auch kaum machbar. Vor allem, wenn man neu in Deutschland ist und mit der Sprache und der hier geltenden Bürokratie nicht vertraut ist. Deswegen helfen wir, wo wir können und begleiten die Frauen zu Terminen beim Gericht, beim Anwalt oder auch zu anderen Behörden wie beispielsweise dem Jobcenter. Wir sind da als Stütze, bis die schutzsuchende Frau gelernt hat, allein auf beiden Beinen zu stehen. Und auch danach haben wir immer ein offenes Ohr.

Die Freiheit ergreifen, die zu sein, die man sein möchte – mit oder ohne Anzeige

Je länger jemand etwas vorgelebt bekommt oder mit einer Wertvorstellung konfrontiert wird, desto mehr und mehr verfestigt sich diese in den eigenen Gedanken. Genauso geht es auch unseren Bewohnerinnen.  In ihren Gedanken keimt die Idee auf, dass man das Recht hat, seine Stimme zu erheben. Die Welt und sein Leben zu gestalten, wie man es will. Dass man niemandes Eigentum ist und vor allem niemanden Rechenschaft schuldig ist. Eine Frau zu sein bedeutet nicht gleich, dass man eine bestimmte Rolle erfüllen muss. Wie bereits Simone de Beauvoir sagte: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.“ Das bedeutet, dass die Gesellschaft erst gewisse Rollenbilder von Frauen und Männern geschaffen hat und diese von Kultur zu Kultur unterschiedlich sind. Und zu lernen, dass jeder sein kann und leben kann, ist wichtig. In Deutschland sind laut Grundgesetz Mann und Frau gleichgestellt und auch wenn bei Weitem nicht immer alles perfekt läuft, können sich die Frauen hier unabhängig entwickeln und ein eigenes Leben aufbauen. Sie lernen, dass sie Rechte haben, die ihnen nicht einfach genommen werden können. Auch das Thema Freiheit in Bezug auf die Vergangenheit spielt eine Rolle. Sagt man sich komplett vom früheren Leben los? Will man den Kontakt zum (Ex-) Mann abbrechen? Oder läuft er über das Jugendamt? Erstattet man Anzeige oder nicht? Das alles sind Entscheidungen, die jede Frau selbst für sich treffen muss, aber allein ist sie damit nicht.

Foto: Jessica Hinz
Voraussetzungen für ein Ehrenamt im Frauenhaus

Während ich diesen Artikel gerade schreibe, fällt mir auf, wie viele Eindrücke und Erfahrungen ich durch das Ehrenamt gesammelt habe. Ich bin über die Zeit ebenfalls gewachsen und unabhängiger geworden. Daher möchte ich euch etwas über das Ehrenamt selbst erzählen: Ehrenamtlerinnen sind wichtig für das Frauenhaus. Ich bin über das Internet auf das Frauenhaus aufmerksam geworden und habe eine Mail an die Leiterin Frau Nagy geschickt, dass ich mich gerne ehrenamtlich engagieren würde. Anschließend wurde ich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, in welchem ich über das Ehrenamt und die damit verbundenen Verpflichtungen aufgeklärt wurde. Es lohnt sich ehrenamtlich im Frauenhaus tätig zu sein – das Engagement belastet uns nicht, sondern stärkt uns: Einer Frau dabei zuzusehen, wie sie Schritt für Schritt Gelerntes wieder verlernt, ist unbeschreiblich.

Text: Jessica Hinz
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