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Achtung! Lesen gefährdet die Dummheit!

Lohnt es sich noch, Klassiker zu lesen? Hören Sie, was Manuel – in nicht ganz ernst gemeinter Dichterpose – dazu zu sagen hat (oder lesen Sie es unten selbst).

Text, Stimme und Bild von Manuel, Einstiegszitat aus „Effi Briest“ von Cecile.

In Front des schon seit Kurfürst Georg Wilhelm von der Familie von Briest bewohnten Herrenhauses zu Hohen-Cremmen fiel heller Sonnenschein auf die mittagsstille Dorfstraße, während nach der Park- und Gartenseite hin ein rechtwinklig angebauter Seitenflügel einen breiten Schatten erst auf einen weiß und grün quadrierten Fliesengang und dann über diesen hinaus auf ein großes, in seiner Mitte mit einer Sonnenuhr und an seinem Rande mit Canna indica und Rhabarberstauden besetzten Rondell warf. Einige zwanzig Schritte weiter, in Richtung und Lage …

(Erster Satz aus Theodor Fontanes "Effi Briest", 1896)

Zugegeben, klassische Literatur hat besonders in meiner bzw. unserer Generation den Ruf ganz schön weg. Das liegt zum einen am Individuum selbst, zum anderen aber auch an der Art wie uns die Lektüren vorgesetzt werden. Oft ist es die Schule, die mit erhobenen Zeigefinger vor einem steht und sagt: „Du hast dieses Buch zu lesen. Es ist wichtig, dass du das liest, das ist Kultur!“.

Leider wird damit oft nur das Gegenteil erreicht: Man entwickelt eine Abneigung, weil die Lektüre einem regelrecht aufgedrängt wird. Hinzu kommt, dass die verwendete Sprache in den Werken alles, aber nicht zeitgemäß ist, und so für uns Schüler schrecklich zu lesen ist. Wählt man dann auch noch einen Roman wie Effi Briest, in dem auf 357 Seiten absolut gar nichts passiert, hat man es geschafft und erneut einen Schüler ein Trauma von klassischer Literatur verpasst.

Aber Momentchen mal, weshalb wird dann die klassische Literatur weltweit so verehrt und angebetet? Und wieso wird es so gnadenlos in den Schulen propagiert und nicht einfach etwas Zeitgenössisches gelesen? Man hat sich doch sicher mehr dabei gedacht als: „Wie kann ich Schüler am besten quälen?!“

Es ist ein Scheinzwang der Schulen. Es sollen lediglich die Werkzeuge vermittelt werden, um uns selbst die Botschaften, Lehren und Quintessenzen erschließen zu können, die in den Büchern eingebettet sind. Das merkt man besonders schnell, wenn man sich aus der deutschstämmigen Literatur in die internationale Weltliteratur wagt. Ob Okakura aus Japan, Voltaire aus Frankreich, Austen aus England, Laotse aus China oder sogar Marc Aurel aus dem antiken Rom, sie alle vereint eine Sache: Sie wollen uns ihre eigenen Weisheiten mitteilen. Seien sie nun ethischer, moralischer oder philosophischer Natur oder einfach nur gesellschaftliche Werte, die gelehrt werden. Sie alle können dazu führen, dass wir unser eigenes Leben, so wie wir es momentan leben, überdenken und verändern. Diese Werke können unsere Haltung gegenüber anderen oder unseren eigenen Sichtweisen grundlegend beeinflussen.

Vor allem in unserer heutigen Zeit, in der Selbstoptimierung eine ausgeprägte Rolle spielt, und durch den natürlichen Wissensdurst des Menschen bleibt die klassische Literatur unangefochten auf ihrer Ruhmesbühne. Es sind genau diese zwei Arten menschlichen Verhaltens die mich Anfang 2022 in ihren Fängen hatte. Ich war gefangen im ewigen Weiterswipen auf TikTok und Co. Als ich mich dann von einem auf den anderen Tag losriss, von diesem ungeheuren nichtsnutzigen Zeitfresser, entstand eine Lücke, die gefüllt werden wollte. Eine Lücke, nicht nur was die freigewordene Zeit angeht, sondern primär ein Defizit an Quellen, durch deren Inhalt ich mich potenziell entfalten kann. Was sich so philosophisch anhört, kann aber auch beispielsweise einfach der Wunsch nach einem neuen LED-Band fürs eigene Zimmer sein. In jener freigewordenen Zeit habe ich dann begonnen die Weltliteratur für mich zu entdecken. Zuerst nur aus Neugier, da ich wissen wollte, warum diese denn überhaupt so ein hohes Prestige besitzt. Später, nach dem Lesen, erkannte ich deren Potential und stellte auch unmittelbar Verhaltensänderungen an mir selbst fest. So bekam ich z. B. nach dem Lesen von Okakuras „Das Buch vom Tee“ einen ausgeprägten Hang zum Minimalismus und begann auch, die kleinsten Dinge viel mehr wertzuschätzen. Dass jene vermittelten Werte in den großen Werken der Weltliteratur tatsächlich Geltung besitzen, kann man besonders im Alter feststellen. Oft spiegeln sich eigene Lebenserfahrungen und selbstgewonnene Erkenntnisse darin wider. Liest man klassische Literatur wiederum in jungen Jahren, so haben diese einen unheimlichen Bildungseffekt, denn zuvor erwähnte Lebenserfahrung konnte noch nicht gemacht werden und man hat die Chance durch aufmerksames Lesen seinen eigenen Horizont zu erweitern. Auch der Leitspruch der FOSBOS Weiden will uns dazu ermutigen. Sapere aude: Wage es, weise zu sein!

Letztendlich geht und ging es nie allein darum, die Kunst vergangener Autoren zu bewundern, sondern vielmehr darum, deren Weisheiten zu bewahren und für sich selbst zu nutzen. Daher möchte ich diesen Text mit den Worten Italo Cavinos beenden: Warum Klassiker lesen? Weil es besser ist, als sie nicht zu lesen.

Text von Manuel mit Cecile zusammen gelesen.
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